Einzigartiger Dreiklang
Der spezifische Klang eines Bauwerkes kann die Identität einer ganzen Landschaft verändern und prägen. Das macht die kürzlich eröffnete Waldschlösschenbrücke in Dresden deutlich. Dichter Stadtverkehr rollt auf 600 Metern Länge über die weiteste Stelle der Elbwiesen und treibt eine breite Klangschneise durch das Tal.
Dabei war es der „einzigartige Dreiklang aus Fluss, Landschaft und Architektur“, der die UNESCO - vor dem Bau der Brücke - dazu bewog, das Elbtal in den Rang eines Weltkulturerbes zu erheben. Gab es in dem Tal etwas zu hören, das geschützt werden sollte?

Mehr in Kürze in der Novemberausgabe 2013 von Stadt + Grün

Auch zu der Zeit des UNESCO-Welterbetitels (2004 - 2009) als das Tal noch ohne Waldschlösschenbrücke zu erleben war, querten andere Brücken in näherer Umgebung die Elbe und prägten nachdrücklich die Klangidentität der Landschaft.

Eine Hör-Rundgang durch das Tal aus dem Jahr 2007:

Albertbrücke
Eine Aufnahme des Nordufers dokumentiert aus 200 Metern Entfernung die Steinbogenkonstruktion der Albertbrücke. Sie ertönt als feinperliges Surren, das auf das Kopfsteinpflaster des Straßenbelags zurückzuführen ist. Überraschende Klang-Modulationen entstehen, wenn Autos zum Überholen auf den in Asphalt gefassten Mittelstreifen wechseln. Gleichzeitig ist das feine Plätschern kleiner Wellen an der Graskante zu hören, welches nur ein unbefestigtes Ufer erzeugen kann. Dieser für eine Großstadt ungewöhnliche Klang ist Moritz Wilhelm Schmidt zu verdanken, der als Bezirkswasserdirektor in den1870er Jahren gegen eine Mehrheit von Fachleuten durchsetzte, auf eine Kanalisierung mithilfe massiver Ufermauern zu verzichten. Über die Wasserklänge legt sich das Rascheln hoher Gräser im Wind und es ertönt das markante, langgezogene Signalhorn der historischen Elbraddampfer - ein Klang-Markenzeichen der Stadt.

Waldschlösschenblick
Einen berühmten Postkartenblick - den „Waldschlösschenblick“ - konnte man von dem gleichnamigen Steinpavillon an der Bautzener Straße genießen. In dem weiten Panorama über die Elbwiesen ist im Hintergrund die rekonstruierte Silhouette der ehemals Spätbarocken Stadt zu erkennen. Zu Hören ist an diesem Ort - ganz unpassend zum Ausblick - der dichte, auf- und abbremsende Verkehr der viel befahrenen Uferstraße. Die unregelmäßigen Verkehrsgeräusche werden zusätzlich reflektiert von der vier Meter hohen Böschungsmauer auf der gegenüberliegenden Straßenseite und unter dem Dach des Pavillons unangenehm verstärkt. Dadurch lädt der Ort kaum zum Verweilen ein. Dass dieser Blick nun von der neuen Brücke verstellt ist, war ein Hauptargument für den Verlust des Welterbestatus - ebenso war die ungelöste Verkehrssituation der Bautzener Straße einer der Hauptgründe für den Bau der Brücke.

Das Blaue Wunder
Die als „Blaues Wunder“ bekannte Loschwitzer Brücke ist eine imposante Stahl-Fachwerkkonstruktion des ausgehenden 19. Jahrhunderts und ein Wahrzeichen der Stadt. Die Brücke vibriert vom schweren Verkehr, der über die mitschwingende Stahlkonstruktion rollt. Dazu erzeugen breite Dehnungsfugen ein Rhythmisches Donnern. Die Brücke bietet ein sensationelles und atemberaubendes Klangereignis, was noch gesteigert wird, wenn unter der Brücke einer der großen Raddampfer hindurchstampft. Man ist erinnert an Luigi Russolos futuristisches Manifest von 1914, in dem er das großartige Konzert der zukünftigen Stadt beschwört.

Die markante Klangidentität der Brücke prägt auch die angrenzende Uferzone, welche ein beliebter Ausflugsort ist. Biergärten locken Gäste zu beiden Seiten des Ufers - die Atmosphäre ist geprägt von Familien, die in den Wiesen in direkter Hörweite der Brücke picknicken.

Südufer
Eine Aufnahme mit nun besonderem historischen Wert stammt vom Südufer in unmittelbarer Nähe der jetzt eröffneten Brücke. Das breite Tal funktioniert hier wie ein Ohr zur Stadt: Nahe und ferne Klänge der umgebenden Stadtteile erzählen von der unerhörten Weite des Flusstales und fließen zusammen mit den feinen Klänge des Wassers, dem Zirpen der Grillen im Gras.